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Datum: 13.11.2015

70 Jahre Barber-Lyaschenko-Abkommen

Bereits vor 70 Jahren war der Kreis Herzogtum Lauenburg Schauplatz einer dramatischen Grenzgeschichte...
Das Barber-Lyaschenko-Abkommen schuf neue, unumstößliche Fakten für eine ganze Region.

Grenzgeschichten haben gerade seit letztem Jahr – 25 Jahre nach der Maueröffnung 1989 - Konjunktur, aber diese hat sich bereits vor 70 Jahren ereignet und ist in ihrer Dramatik eine ganz besondere, die die lauenburgische Regionalgeschichte wesentlich beeinflusst hat.

So jährt sich am 13. November 2015 der Tag zum 70. Mal, an dem ein kaum vergleichbares Ereignis das Leben für viele Menschen in den Kreisen Herzogtum Lauenburg und Schönberg von heute auf morgen nachhaltig veränderte. Ein Gebietsaustausch - vor allem aus logistischen Gründen - zwischen den damaligen Siegermächten Großbritannien und Sowjetunion, der mit einem Federstrich jahrhundertelang gewachsene territoriale Strukturen und Zugehörigkeiten beendete. Lauenburgische Dörfer, vor allem östlich des Schaalsees um Lassahn herum gelegen, sowie Dechow und Thurow, wurden gegen die im mecklenburgischen Kreis Schönberg befindlichen Orte Römnitz, Bäk, Mechow und Ziethen ausgetauscht. Neben den umfassenden alltäglichen Bindungen zur Umgebung wurden auch über Jahre gewachsene menschliche Verbindungen unterbrochen, die erst mit der Öffnung der Grenze im November 1989 wieder mit Leben erfüllt werden konnten.

Zum 60. Jahrestag dieses Gebietsaustausches hat sich das Kreisarchiv Ratzeburg vor zehn Jahren auf Spurensuche begeben, um Zeitzeugen zu finden und sie nach ihrem Erleben im November 1945 zu befragen. Die Erlebnisse, die meist mündlich in sehr eindringlicher Weise von Betroffenen geschildert wurden, sind damals in einer Dokumentation festgehalten worden. „Oma war gerade beim Buttern, als die Nachricht über den Gebietsaustausch kam...“ ist seit ihrer Veröffentlichung nahezu 3.500 mal verkauft worden, eine Nachfrage zu diesem Thema besteht bis heute. Es ist wohl das Interesse an einem fast unvergleichbaren Schicksal eines Landstrichs in Deutschland, das die Menschen vor 70 Jahren nur kurze Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ereilt hat. Die Härte dieses Abkommens mit seiner unwiderruflichen Konsequenz für alle Betroffenen ist im Nachhinein nur schwer vorstellbar, jeder Einzelne hat seine ihm eigene Geschichte erlebt, wobei allen der tiefe Einschnitt in die persönliche Lebensplanung gemeinsam ist. Ziel dieser Zusammenstellung war es, die Erinnerung an die dramatischen Tage im November 1945 festzuhalten, wobei gerade das persönliche Erleben im Mittelpunkt stand.

Eine ganze Region wurde in einer ohnehin problematischen Zeit, in der bereits überall zahlreiche Flüchtlinge nur allzu notdürftig untergebracht waren, vor enorme Herausforderungen gestellt. Die meisten Menschen in den betroffenen lauenburgischen Dörfern entschieden sich in einer nur sehr knapp bemessenen Zeit für den Fortzug aus der alten Heimat Richtung Westen, um so in der britischen Besatzungszone weiterleben zu können. Briten und Russen hatten genau festgelegt, dass binnen zwei Wochen eine Entscheidung über Bleiben oder Fortzug zu treffen war und mit welchem Hab und Gut die Einwohner ihre Heimat verlassen durften. Die einzige Verbindung für die Dörfer östlich des Schaalsees zum übrigen Kreisgebiet war der Weg über den Schaalsee, was die Situation enorm verschärfte, zumal in einer so unwirtlichen Jahreszeit. Liest man die Erzählungen gerade über den Transport von Tieren, landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Hausstand, kann man sich kaum vorstellen, welche ungeheuren logistischen Voraussetzungen geschaffen werden mussten, um in so kurzer Zeit dieser enormen Aufgabe gerecht zu werden.

Am anderen Schaalseeufer warteten jene Menschen, die halfen, die Evakuierten und ihre gesamte Habe erstmal irgendwo unterzubringen. Außerdem fuhren sie gen Osten über den Schaalsee, um dort die Bevölkerung beim Dreschen, Schlachten und Transport zu unterstützen.

Eine ganz andere Geschichte haben die Menschen zu erzählen, die sich für das Bleiben entschieden. Sie behielten zwar ihre Heimat, die aber fortan von völlig veränderten Lebensbedingungen geprägt wurde, zudem die meisten persönlichen Kontakte im Alltag durch den Fortzug der Mehrheit wegbrachen.

Hingegen stellte sich die Situation der Bevölkerung in den ehemals mecklenburgischen Dörfern im November 1945 ganz anders dar. Nach dem Abkommen wandelte sich dort für die meisten die absehbare Zukunft in eine handfestere Größe, auch wenn für sie der Verlust der über die Jahrhunderte gewachsenen Anbindung an das mecklenburgische Hinterland ebenso einschneidende Folgen hatte wie die Folgen des Gebietsaustausches für ihre lauenburgischen Nachbarn.

Fakten und Zahlen:

13. November 1945
In Gadebusch findet die Vertragsunterzeichnung zwischen dem britischen Vertreter Generalmajor Barber und dem der Sowjetunion Generalmajor Lyaschenko über den Gebietsaustausch zwischen der britischen und russischen Besatzungszone statt.
Betroffene Gebiete: Kreis Herzogtum Lauenburg (britische Besatzungszone): Lassahn, Techin, Hakendorf, Klein Thurow und Dechow und die Güter Groß Thurow, Bernstorff, Stintenburger Hütte und Stintenburg.
Kreis Schönberg (russische Besatzungszone): Ziethen, Mechow, Bäk, Römnitz und Wietingsbek.

14./15. November 1945
Informierung der betroffenen Bevölkerung, die sich sofort entscheiden muss, ob sie gehen oder bleiben will. Befehl: Räumung aller Viehbestände, landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte, sowie aller Lebensmittelbestände aus dem Evakuierungsgebiet.

16.-22. November 1945
Evakuierung von 2.675 Stück Vieh mit Fähren über den Schaalsee

23.-26. November 1945
Evakuierung der Bevölkerung

28. November 1945
Das Evakuierungsgebiet wird den Russen übergeben. 1.761 Personen zogen fort, 278 Personen blieben vor Ort.

- Dokumentation: Cordula Bornefeld, „Oma war gerade beim Buttern, als die Nachricht über den Gebietsaustausch kam...“, 80 S., November 2005 (Veröffentlichung des Kreisarchivs Ratzeburg) -